Willkommen im magischen Universum endloser Schöpferkunst

Wer die Welt in sich zu Hause hat, muss nicht in die Welt ziehen, um Abenteuer zu erleben. Manege frei für die PATRICK WATSON Band: einem Spiegelkabinett, Zirkuszelt, Drehkarussell, Orchestergraben, Hochseilakt und Budenzauber. Im Hinterhof hat PATRICK WATSON also ein Orchester stehen. Oder er hängt dort einfach nur mit einem Haufen grandioser Musikerfreunde ab. Denn mit Fantasie, Talent und Leidenschaft begabt, können sie den Gartenzaun getrost schließen und sich darin austoben. Hauptsache, sie lassen uns weiterhin an ihrem Spiel teilhaben. Adventures In Your Own Backyard, das vierte Studioalbum des Kanadiers, ist schlicht fantastisch, traumhaft, hinreißend.

Der imaginäre Hinterhof ist WATSONs Kopf, und die musikalischen Erlebnisse, die sich darin abspielen, gehören zum Einfallsreichsten und Besten, das Populärmusik unserer Zeit zu bieten hat – ein wahrer Geschichtenerzähler mit einer begnadeten Band (SIMON ANGELL, ROBBIE KUTER, MISHKA STEIN). Adventures in Your Own Backyard beginnt mit ‘Lighthouse’, einem ruhigen, anfangs minimalistischen Klavierstück. Es führt uns genau drei Minuten und zehn Sekunden lang mit sanft-zurückhaltendem Gesang in die Geschichte ein … „leave a little lighthouse in the wild, cause I’m coming in“ … und dann brechen plötzlich Streicher, Schlagzeug, Bläser und hallende Elfenstimmen herein … „won’t you shine a little light in your own backyard“ … Das ist der Moment, in dem der Jahrmarktdirektor den Vorhang zurückzieht und uns eintreten heißt. Der Moment, in dem einem Kind die Augen übergehen würden, weil es nicht weiß, wohin zuerst blicken, um alles einzufangen. Nur, dass es einem bei Adventures In Your Own Backyard mit den Ohren so gehen wird.

Danach lässt ‘Blackwind’ erstmal kein Nachsinnen zu, sondern jagt einen mit einem raschen musikalischen Windspiel auf dem Vibraphon in eine etwas hellere Stimmung auf und davon. Nur, um uns in ‘Step Out for a While’ die Tränen im ¾-Takt in die Augen zu treiben. So schön hat seit JEFF BUCKLEY keiner mehr in der Kopfstimme gesungen. Und der tänzelnde Walzer-Rhythmus erinnert daran, dass ein richtiger Clown ja eine lachende und eine weinende Gesichtshälfte hat. In ‘The Quiet Crowd’ braucht es erst mal nicht mehr als ein Klavier und eine einfache Gesangsmelodie, um einen ganzen Raum zu füllen … doch dann beginnen Effekte links und rechts endlose Weiten zu öffnen … stimmt ein Vibraphon in die Unterhaltung ein … kommt Bass als Kontrapunkt dazu … da schlittern plötzlich Querflötenquietscher durch den Äther, setzt rechts oben ein Cello ein, während von links unten Panflöten flüstern, dann kommen Streicher von vorne auf einen zu, rechts ein Glockenspiel, links ein Chor und durch die Mitte, quasi im Cockpit des eigenen Hirns die Stimme von PATRICK WATSON … Form, Inhalt, Gefühl – hier trifft sich alles. In der Sprache der Musikkomposition zu denken, ist im wahrsten Sinne des Wortes erfüllend.

Es wird auf dieser Platte danach verspielt auf und ab gehen, durch schnellere und langsame, mal traurigere, mal fröhlichere Songs: ein countryesk angehauchtes Sommernachmittagsstück (‘Into Giants’), ein Laidback-Track mit smooth-angezerrtem Gitarrenlick, dessen Strophe definiert, was ‚Flow‘ bedeutet (‘Morning Sheets’), eine zärtlich-melancholische Akustiknummer (‘Words in the Fire’), instrumental aufwühlende Filmmusik (‘The Things You Do’), virtuose, sehnsüchtig-trunkene, verspielte Gitarren-Klavier-Chor-Tänze (‘Strange Crooked Road’), eine wunderschöne melancholisch-sentimental-bluesige Mitternachtsballade (‘Noisy Sunday’), der treibende, von Wüstenrock-Gitarre, CALEXICO-Trompete und Prärie-Rhythmus getragene Titelsong (‘Adventures in Your Own Backyard’) und zum Abschluss nochmals eines seiner typisch traurigen instrumentalen Klavierstücke (‚Swimming Pools’) …. und schon am Ende, obwohl zwölf Songs für ein Album ja nicht wenig sind. Naja, wahrscheinlich musste man aus einigen Dutzenden wählen … und wo sollen hier B-Seiten sein!?

PATRICK WATSON ist ein Magier, nicht nur weil seine Musik zauberhaft ist, sondern weil er so vieles gleichzeitig schafft, was anderen oft nicht im Einzelnen gelingt: von Album zu Album besser zu werden auf einem musikalischen Niveau, das schon beim Debüt außergewöhnlich war; sich nicht zu wiederholen und trotzdem unverkennbar zu bleiben; Musik für Band, Orchesterbesetzung und Chorgesang zu schreiben, ohne überladen oder pathetisch zu wirken; Sound- und Stilmixe jeglicher Art zu kreieren, ohne künstlich zu klingen; Virtuosität mit der größten Leichtigkeit zu vollführen; Ideenfülle, Klangreichtum, Abwechslung … ach – talking about love is like dancing about architecture! Musik für romantische Seelen, zugegeben, absolut. Wie in einem Traum rast man durch Adventures In Your Own Backyard und da muss sich jeder in sein eigenes Gefühlsuniversum stürzen.

(Diese Rezension erschien zuerst auf Popmonitor.berlin.)

________________
PATRICK WATSON am Freitag, 20.04.12 in Berlin in der Heilig-Kreuz-Kirche

PATRICK WATSON
Adventures In Your Own Backyard
(Domino Records)
VÖ: 20.4.2012

www.patrickwatson.net
www.myspace.com/patrickwatson
www.dominorecordco.com
www.secretcityrecords.com

Zurück zum blog!