Beseelt vom Rausch

Nein – mensch muss weder Mitglied der Anonymen Alkoholiker, noch trunken sein, um den Konsum von ALCOHOLIC FAITH MISSION genießen zu können. Im Gegenteil: das dänische Sextett huldigt einem experimentalen Folkpop-Stil, der eher was für anspruchsvolle Genusssüchte bietet. Denn dem Übergang von mehrstimmigem Chorgesang im Opener ‘Down From Here’ zum Kontrastprogramm im nächsten Song muss man schon aufmerksam folgen, um sich zu vergewissern, dass man immer noch demselben Album lauscht.

‘Alaska’ lebt vom Aufeinanderprallen eines fast gehauchten Frauengesangs mit einem krachenden Stadionrhythmus und verzerrten Feedbackgitarren, die im ersten Moment ein wenig an WU LYF anklingen. Überraschend schmiegen sich dann in ‘Into Pieces’ wieder leisere Popklänge an eine Klaviermelodie im Loop und nach einem instrumentalen ‘Statement’ als Interlude-Track ist man schon in der Mitte von Ask Me This gelandet. Und spätestens im traurig-schönen ‘I’m not Evil’, in welchem abermals eine andere, aber ähnliche Klavierspur den Leitfaden bildet, hat die schiere Komplexität und Fülle des Arrangements (ich habe Bläser und Akkordeon noch nicht erwähnt) bewiesen, dass ALCOHOLIC FAITH MISSION mit ziemlich klarem Köpfchen bei der Sache sind.

Dabei frönten die beiden Gründungsmitglieder THORBEN und SUNE beim ersten Album Misery Loves Company im Jahre 2006 tatsächlich noch hemmungslos dem Trinklaster und nahmen ausschließlich in berauschten Nachtsessions bei Kerzenschein auf. Allerdings waren diese Rahmenbedingungen neben einer Vorliebe für Spirituosen nicht minder den Grenzen der damals noch zweisamen Eigenproduktion mittels Laptop im heimischen Schlafzimmer geschuldet.

Auch beim zweiten Longplayer gaben sich ALCOHOLIC FAITH MISSION willig einer Versuchung hin: sich zum experimentellen Austoben zur Affäre außer Haus begeben – in diesem Fall, Brooklyn, New York. Dort, wo nämlich bereits der Bandname geboren wurde, entstand 2009 auch 421 Wythe Avenue. Dafür wurde ein altes Fabrikgebäude bezogen und die darin gefundenen Objekte zur Klangerzeugung verwendet. Herausgekommen ist ein ungewöhnlich experimentelles Noise-Indiefolk-Werk. Der dritte Streich Let This Be The Last Night We Care folgte gleich 2010, wurde mehrfach in Jahresbestlisten genannt und führte zum Durchbruch samt erster großer Europa- und Nordamerika-Tour.

Nun sind ALCOHOLIC FAITH MISSION also mit ihrem vierten Album Ask Me Thiszurück und überzeugen diesmal wieder durch eine Weiterentwicklung. Betörende Klangreife, Ideenfreudigkeit im Stilmix und eine ausgefeilte Komposition sind die Zutaten des 35-minütigen Cocktails. Die zweite Hälfte beginnt mit ‘Running With Insanity’ – eine treibende und traditionell anmutende Hymne, die aber ohne jeglichen Schunkelcharakter oder Verbrüderungsmythos auskommt. Das Titelstück ‘Ask Me This’ mit seinem schmerzerfüllten Gesangs-Klavier-Duett könnte in labilen Momenten sicherlich zu Tränen reizen. Deshalb liefert ‘Reconstruct My Love’ nachfolgend das aufmunternde Gegenstück mit leicht sentimentaler 80ies-Note. ‘We Need Fear’ und ‘Throw Us To The Wolves’ geben einen leichten, eingängigen Abschluss, der zu später Stunde sicherlich zum Tanzen und Mitsingen anregt.

Irgendwie schaffen es ALCOHOLIC FAITH MISSION dabei an der Kante von naivem Pop (den sie durchaus bewusst bedienen) zu Prollgegröle die Kurve zu kratzen. Und das ist eine Kunst. Aber der Grat ist schmal und die Gefahr, das Gleichgewicht zu verlieren, schreckt mit Hinblick auf das bevorstehende Konzert. Deshalb ist vielleicht der simple Clou und eine Bitte: in den Gesang einstimmen sollte nur, wer nüchtern ist – den Auftrag, das Ganze berauscht zu meistern, kann man mit blindem Vertrauen der Band überlassen.

(Diese Rezension erschien zuerst auf Popmonitor.berlin.)

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Live: ALCOHOLIC FAITH MISSION (DK) + BRACE/CHOIR (DE/USA)
Sonntag, 12.02.2012, 21:00
Abendkasse 8 Euro
Lovelite

ALCOHOLIC FAITH MISSION
Ask Me This
(PonyRec / Word & Sound)
VÖ: 24.02.2012

www.alcoholicfaithmission.com
www.facebook.com/alcoholicfaithmission
www.myspace.com/alcoholicfaithmission

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